Das Immunsystem kann körpereigene von körperfremden Strukturen unterscheiden und sich an diesen Unterschied lange, manchmal ein Leben lang, erinnern. Zwei zentrale Werkzeuge des Immunsystems sind Eiweißstoffe namens Antikörper (auch genannt Immunglobuline) und weiße Blutkörperchen (Leukozyten). Sie erkennen, neutralisieren, zerstören und eliminieren körperfremde Strukturen wie das SARS-CoV-2. Wir spüren diese Vorgänge als Erkrankung. Das immunologische Gedächtnis behält diese Erfahrung für den nächsten Kontakt in Erinnerung; es macht uns immun. Eine Impfung gegen Infektionserreger macht sich diese Werkzeuge zunutze, indem es durch die Verabreichung eines möglichst ungefährlichen Bestandteils eines Erregers Antikörper und Leukozyten für deren spätere Verwendung gegen den intakten gefährlichen Erreger anlegt.

Es macht Sinn, die Menge und „Kraft“ von Antikörpern und Leukozyten zu bestimmen, um die Immunität, den Schutz vor Infektionen, einer infizierten oder geimpften Person zu bewerten. Auch wenn bei SARS-CoV-2 die Leukozyten wahrscheinlich etwas wichtiger sind, wird im Labor die Bestimmung von Antikörpern aus dem peripheren venösen Blut bevorzugt. Die Konzentration von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 gibt uns Aufschluss über den Erfolg bei der Beseitigung des Virus im Rahmen der Genesung oder den Erfolg einer Impfung. Das wiederum ist im Falle von CoVID-19 wichtig für unsere gesellschaftliche Freiheit und nützlich für die Planung der Impfabfolge. Doch leider wird die Umsetzung dieser logischen Überlegung von zwei Hindernissen durchkreuzt: (i) So gibt es wohl zahlreiche, per se technisch genaue Labortests, die zum Beispiel bei wiederholten Messungen immer wieder denselben Wert ergeben, doch zwischen den Testsystemen, bestehend aus Labortests und den eingesetzten Laborautomaten, gibt es erhebliche Unterschiede. So sind die Messeinheiten –bekannt als Antikörper-Einheiten (englisch antibody units/AU, binding antibody units/BAU)- noch nicht über die Testsysteme hinweg standardisiert . Man kann also die Ergebnisse zwischen zwei Labors nur schwer miteinander vergleichen. Es gibt nun Bestrebungen, durch sogenannte Rundversuche eine Vergleichbarkeit zu erreichen. Hersteller von Testsystemen haben zudem damit begonnen, ihre Antikörpertests mit einer Probe einer genau definierten Antikörperkonzentration zu vergleichen, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Verfügung gestellt wird. Ab diesem Zeitpunkt würde man korrekterweise von der Einheit AU oder BAU auf Internationale Einheiten (IE oder englisch IU) wechseln. Lege artis wird dieser Umstand im Laborbefund bekannt gegeben. (ii) Doch selbst wenn dieser Punkt gelöst wäre, stünden wir als Ärztinnen und Ärzte vor einem noch viel größeren Problem. Denn der bloße Nachweis von (mitunter hohen) Antikörpermengen im Blut bedeutet nicht, dass diese Antikörper das SARS-CoV-2 neutralisieren können bzw. man gegen SARS-CoV-2 geschützt ist. Hier muss man anerkennen, dass die Erfahrungen der Medizin mit diesem wichtigen Aspekt der CoVID-19 noch unzureichend sind. Es gibt leider noch keinen klaren Schwellenwert der IU, AU oder BAU, ab dem wir einer Patientin oder einem Patienten einen immunologischen Schutz attestieren können. Ein guter Ansatz für eine seriöse medizinische Bewertung ist es, den Mittelwert der Antikörperspiegel von erfolgreich genesenen CoVID-19 PatientInnen heranzuziehen. Ist die Antikörperkonzentration unteroder oberhalb dieses Mittelwerts, kann man eine ärztliche Diagnose zum (fehlenden oder existierenden) Immunschutz gegen SARS-CoV-2 wagen. Noch besser ist die Berechnung des Schwellenwerts der Antikörper aus dem Blut von PatientInnen, die trotz Impfung an CoVID-19 erkranken. Die klinische Aussagekraft eines jeden Tests muss entweder am Laborbefund oder im Arztgespräch thematisiert werden. Sollte in diesem Prozess auch heute schon ein informativer Befund zustande kommen, spricht prinzipiell nichts dagegen, den Antikörpertest in die 3G-Systematik aufzunehmen oder den Impfplan individuell zu gestalten. Doch diese Situation bleibt zurzeit die Ausnahme. Bei allem gesellschaftlichen Druck tut die Medizin somit gut daran, einen Schritt zurück zu machen und beide genannten Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Bis dahin bleibt die Befolgung eines Impfschemas auf Basis der Zulassungsstudien und der Erfahrungen mit anderen Virusinfektionen wohl der beste Ratgeber.